Gedanken zum Wochenabschnitt (04.02.2023)

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Am Meer sah die gewöhnliche Magd, was selbst die Propheten Jeschajahu und Jecheskel nicht gesehen haben.” Diesen erstaunlichen Vergleich überliefern uns die Weisen (Midrasch Jalkut Schimoni Beschalach, 244), aufzeigend, dass die G”tteserkenntnis beim Wunder der Spaltung des Schilfmeeres selbst einfacher Menschen wie die genannte Magd diejenige unserer großen Propheten der späteren Geschichte überstieg. Was wollen sie uns damit mitteilen? 

Es gibt zwei Wege, um zur G”tteserkenntnis zu gelangen:

– Durch Lernen und innere Arbeit (=der Weg des Propheten)

– Durch das Erleben von Wundern (=der Weg, durch den jeder G”tt zu erkennen vermag)

Im Gegensatz zum zweiten We gist der erste Weg lange und steinig, verlangt dem Menschen eine fortdauernde und intensive Entwicklung der Persönlichkeit, sowie Entfaltung und Vertiefung einer Weltanschauung ab.  

Worin aber liegt die Größe des Propheten, wenn sogar durch ein einzelnes Erlebnis jedem eine höhere Stufe der G”tteserkenntnis zuteilwerden kann?

Beim zweiten Weg, G”tt zu erkennen, handelt es sich um eine vorübergehende Erscheinung; Kurz nach dem Erlebnis kehrt die im Midrasch genannte Magd wieder zu dem zurück, was sie zuvor war. Der Prophet hingegen bleibt beständig auf seiner Stufe und fällt nicht zurück! 

So stellt auch der Psalmist fest: (Psalm 107, 43) “Wer ist so weise und wird dies bewahren und deine Gnaden verstehen? „Die eigentliche Größe liegt nicht darin, eine hohe Stufe der G”tteserkenntnis zu erlangen, sondern diese zu bewahren! 

Ein weiterer Psalm verdeutlicht dies ebenfalls: (24, 3): “Wer besteigt den Berg G”ttes, und wer bleibt am Orte seines Heiligtums bestehen?” Das Besteigen des Berges an sich ist nur ein vorbereitender Schritt. Die wahre G”tteserkenntnisaber offenbart sich demjenigen, der auf einer solchen Stufe auch bestehen bleibt – doch wie?

Wer eine besondere Stufe erreicht, sollte sich etwas errichten, das die Fortsetzung des Erlebnisses als lebendige Erinnerung festigt. Beispielsweise diente der Mischkan, das Stiftszelt in der Wüste, laut dem Kusari (1, 81) als eine Art Fortsatz der Offenbarung G”ttes am Berg Sinai und verankerte im Volk das beständige Gefühl der G”ttesnähe. Deshalb soll auch das morgendliche Gebet nicht abrupt und übereilt beendet werden. Die soeben erlebte G”ttesnähe soll in einem Moment der Ruhe, des Nachsinnens und dem Lernen von Halachot – praktischer Anleitung – in den wartenden Alltag Eingang finden.  

Diese Aufgabe erfüllte das Loblied, die Schira, mit welchem die Israeliten im Anschluss an die Spaltung des Schilfmeeres G”ttes Größe besangen, welches diesem Schabbat seinen Namen gibt und täglich im Morgengebet zitiert wird: das überwältigende Erlebnis des übernatürlichen Wunders in Worte zu fassen, ihm als verbleibendes Gefühl Ausdruck zu verleihen, sodass die Dankbarkeit sowie die Größe der Stunde nicht in der Vergangenheit zurückbleiben, sondern als ständige Wegbegleiter die damalige G”ttesnähe weiter erhalten.  

Rabbiner Jaron Engelmayer