Pessach-Gedanken zum Wochenabschnitt

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Pessach 5783

15.-22. Nissan 5783 – 06.-13.04.2023

Schabbatgedanken von Oberrabbiner Jaron Engelmayer

Gedanken zum Wochenabschnitt

Wann wurde zum allerersten Mal der Auszug aus Ägypten gefeiert? In Ägypten! Ja, in Ägypten, so beschreibt es die Torah sehr explizit im 2. Buch Moses Kap. 12. Zu diesem Pessachfest zählte auch der Verzehr der Mazzot. Diese werden bis zum heutigen Tage als zentrales Element des Sederabends verspiesen und sollen uns bekanntlich daran erinnern, wie wir beim Auszug aus Ägypten keine Zeit mehr hatten, den Teig zu Sauerteig werden zu lassen und ihn deshalb ungesäuert auf den Weg mitnahmen (dort 39, sowie in der Hagaddah: „Mazzot – weswegen?“). Auf das allererste Pessachfest in Ägypten bezogen erscheint die Begründung jedoch paradox: Noch saßen die Israeliten in Ägypten fest, noch hatte Pharao sie nicht freigelassen, und trotzdem erhielten sie von G“tt die Anweisung, schon in der Nacht vor dem Auszug Mazzot zu essen (dort 8). Wofür? Als Zeichen für etwas, was sich erst am Morgen danach, nämlich beim Auszug aus Ägypten, ereignen wird? Soll etwa der Zukunft gedacht werden?    

Damit die Erlösung praktisch stattfinden kann, braucht es zuerst einen inneren Zustand des Erlöst-Seins! Wenn die israelitischen Sklaven sich nicht innerlich von der Unterwerfung vor den ägyptischen Herren lösen können, kann auch G“tt sie nicht erlösen, der physische Auszug aus Ägypten reicht dafür nicht aus. Denn Freiheit und Unabhängigkeit beginnt von innen! Der Verzehr der Mazzot in Ägypten sollte darauf hinweisen, dass die Erlösung jederzeit eilig eintreten kann, wenn die Bereitschaft hierfür besteht: „Denn in Eile bist du aus Ägypten ausgezogen“ (5. Buch Moses 16, 3).

An Pessach wird vielerorts das Lied der Lieder – Schir Haschirim – zitiert, ein Liebeslied, das die mitunter recht komplizierte Liebesgeschichte zwischen G“tt und Seiner Geliebten, das Volk Israel, allegorisch beschreibt. In dessen 5. Kapitel klopft der Liebende (G“tt) spätabends an die Tür der Geliebten, jedoch ist diese zunächst nicht bereit, die Tür zu öffnen, da sie schon gewaschen, einbalsamiert und im Nachtkleid zu Bett gegangen ist. Erst als das Klopfen wiederholt zum Öffnen drängt, erhebt sie sich vom Nachtlager und öffnet die Tür. Doch zwischenzeitlich ist der Liebende weg, nicht mehr zu sehen, und obschon sie auf die Straßen eilt und nach ihm sucht, findet sie nicht ihn, aber statt seiner die Stadtwächter, welche ihr Schläge versetzen.

Diese Passage hat Rav J.D. Soloveitchik veranlasst, einen berühmten Aufsatz unter dem Titel „kol dodi dofek“ – die Stimme meines Geliebten klopft an – zu verfassen und darin die Schritte der Erlösung zu beschreiben. Wäre die Geliebte (das Volk Israel) nicht zu träge gewesen, die Stimme des Liebenden direkt und ohne weiteres Zögern zu erwidern, hätte es statt schwerer Schläge direkt die Zusammenkunft mit dem Geliebten, die Erfüllung der Liebe und der Erlösung erhalten. 

Deshalb hat diese Botschaft nichts an Aktualität eingebüßt: für die lang ersehnte Erlösung durch G“tt ist es unabdingbare Voraussetzung, diese tatsächlich jederzeit zu erwarten, sich herbeizuwünschen, und die Möglichkeit stets praktisch willkommen zu heißen – ja, auch konkrete Schritte hierfür zu unternehmen. Denn die Erlösung entspricht zunächst einmal dem inneren Zustand und beginnt in Wirklichkeit von innen heraus.  

Rabbiner Jaron Engelmayer