Dr. Tobias Krämer
Seit die Hamas Israel im Morgengrauen des 7. Oktober Israel überfiel und ein an Grausamkeit kaum zu übertreffendes Blutbad unter unschuldigen Menschen jeden Alters anrichtete, ist Israel im Krieg. Nicht nur Christen fällt es schwer, sich im öffentlichen Diskurs über das Thema zu positionieren. Dr. Tobias Krämer, Leiter des Bereichs Theologie und Gemeinde bei Christen an der Seite Israels in Deutschland, gibt Antworten auf die 23 häufigsten Fragen und Aussagen.
Ich weiß nicht, ob wir uns darauf einigen können: Terroristische Gewaltmaßnahmen sind nicht zu rechtfertigen. Niemals. Welche Umstände auch immer vorliegen mögen, Terrorismus ist konsequent abzulehnen. Nicht verhandelbar.
Wenn wir uns darauf nicht einigen können, brauchen Sie nicht weiterzulesen. Denn der folgende Artikel geht davon aus, dass die Ablehnung von Terrorismus eine Errungenschaft der Zivilisation ist und absolute Gültigkeit besitzt. Wir bringen es unseren Kindern schon im Sandkasten bei, dass es viele Möglichkeiten gibt, eigene Interessen zu vertreten, dass aber das Eindreschen auf den Kopf eines anderen Kindes nicht dazu gehört. Hinter diesen Konsens gehe ich nicht zurück.
Was Israel am 7. Oktober 2023 durch die Hamas erlebt hat, ist Terrorismus in einer denkbar extremen Form. Da unsere Medien häufig nur mit Zahlen operieren, ist die fürchterliche Grausamkeit dieser Geschehnisse bei uns nicht wirklich angekommen. Tote im vierstelligen Bereich sind schon grauenvoll. Doch wie diese Menschen ums Leben gebracht wurden, ist unbeschreiblich. Terroristen haben auf einem Musikfestival wahllos in die Menge geschossen und Zuschauer von den Bäumen heruntergeballert. Sie drangen in Kibbuzim ein und haben weder vor Alten noch Kindern Halt gemacht. Leichen wurden grausam zerstückelt, Gesichter zerschmettert, Schwangere aufgeschlitzt, Babys wurden die Köpfe abgerissen, zahlreiche wehrlose Jüdinnen wurden vergewaltigt, bevor sie ermordet wurden; es herrschte Gewalt in der schlimmsten Form.
Wichtig: Diese Terroranschläge erfolgten aus heiterem Himmel, doch waren sie über Monate hinweg generalstabsmäßig geplant. Die Täter wussten, wo in den Kibbuzim wer lebte. Sie kannten sich aus und waren bestens informiert. Diese Taten erfolgten nicht aus der Hitze eines Krieges, sondern waren eiskalt geplant, professionell vorbereitet, strikt geheim gehalten und strategisch durchgeführt. Das sind die Fakten.
Kein: „Nein, aber …,“
Angesichts dessen kann es nur eine Reaktion geben: ein klares Nein. Nein zu Terrorismus. Kein: „Nein, aber …,“ sondern ein eindeutiges, glasklares und vorbehaltloses Nein. Punkt.
Dieses Nein beinhaltet, dass man sich auf die Seite Israels stellt. Die Botschaft muss lauten: „Wer Israel mit Terror überzieht, der muss nicht nur mit Israels Gegenwehr rechnen, sondern auch mit unserem Widerstand. Wir solidarisieren uns mit Israel gegen den Terrorismus, wir stehen auf Israels Seite.“ Hier darf es nicht die geringste Rolle spielen, wie man Israel und seine Politik beurteilt. Hier kann nur eines gelten: sich mit aller Entschiedenheit zu Israel und gegen den Terrorismus zu stellen, wie es unter anderem unsere Bundesregierung getan hat. Denn die Grausamkeiten jener Terroristen ist durch nichts, aber auch durch gar nichts zu rechtfertigen. Außer einem klaren Nein gibt es an der Stelle nichts zu sagen.
Ist diese Position klar markiert, kann man sich um all die weiteren Fragen kümmern, die nun aufkommen und die teilweise auch gewichtig sind. Das möchte ich tun, indem ich im Folgenden auf Aussagen beziehungsweise Fragen eingehe, die man in diesen Tagen häufig hört.
1. „Als Christ kann man nicht dafür sein, dass Israel nun in den Gazastreifen einmarschiert.“
Es ist ungeheuer schwierig zu beurteilen, welche Reaktionen in Extremsituationen richtig und angemessen sind. Eine zu defensive Reaktion Israels würde dazu führen, dass die Terroristen ermutigt aus der Situation hervorgehen, und das darf auf keinen Fall geschehen. Eine zu offensive Reaktion könnte maßlos ausfallen und ebenso zu einem Bumerang werden. Israel ist sich dieser Gefahren durchaus bewusst. Inwieweit wir aus der Ferne überhaupt in der Lage sind, hier ein Urteil zu fällen, ist fraglich. Wir kennen die Situation nicht, wir kennen die Beteiligten nicht, wir haben das Leid und die Zerstörung nicht gesehen, wir sind nur über Medien informiert und nicht aus eigenem Erleben vor Ort. Von daher steht es uns gut an, zurückhaltend zu sein, Israel in seiner Not zur Seite zu stehen und Israel selbst entscheiden zu lassen, auf welche Weise es sich zur Wehr setzt.
Für einen Einmarsch in Gaza gibt es sachlich gesehen kaum eine Alternative, denn dort ist der Sitz der Hamas und ihrer Terroristen, dort ist ihre Basis und ihre Infrastruktur. Will man die Hamas empfindlich treffen, kann man dies wohl nur im Gazastreifen erreichen, nicht von außen. Israel sieht sich nun vor der Herausforderung, mit aller Kraft gegen die Hamas vorzugehen, will aber zugleich die Zivilbevölkerung so gut wie möglich schützen – ein enormer Spagat. Israel tut an der Stelle von jeher sein Bestes. So werden die Menschen in Gaza vorab informiert, was die Armee unternehmen wird. Häuser, die bombardiert werden, werden vorher markiert; die Bevölkerung wird rechtzeitig aufgefordert, sich in Sicherheit zu bringen. Leider wird es ohne zivile Oper dennoch nicht abgehen. Auch das gehört zu den bitteren Wahrheiten dieser Tage.
2. „Als Christen müssen wir für eine friedliche Lösung sein.“
Das ist zweifellos richtig. Die Frage ist nur, wie man zu einer friedlichen Lösung kommt und was hier überhaupt „gelöst“ werden muss. Gelöst werden muss aktuell die Frage, wie Israel auf die bestialischen Morde von Heerscharen terroristischer Hamas-Kämpfer reagieren soll. Das ist keine einfache Frage und durchaus ein Gebetsanliegen. Gelöst werden muss das Problem des Terrorismus an sich. Israel hat sich vorgenommen, die Hamas, von der der Terror ausgeht, zu zerstören. Dies ist auf friedlichem Weg nicht möglich.
Sollte dies gelingen, bedarf es weiterer Konzepte, um Gaza zu helfen, den Terror von innen her zu überwinden. Ob und wie dies geschehen kann, ist eine komplizierte Frage – ein weiteres Gebetsanliegen. Sollte auch dies eines Tages gelingen, dann steht einem friedlichen Miteinander zwischen Israel und dem Gazastreifen nichts im Weg. Israel hält die Hand zu allen ausgestreckt, die friedlich mit Israel zusammenleben wollen. Wer Frieden mit Israel will, bekommt ihn auch.
3. „Israel hat als Staat das Recht, sich zu verteidigen, keine Frage. Doch wie kann ich als Christ persönlich dazu stehen, wenn ich an das Gebot ‚Du sollst nicht töten‘ denke?“
Das Tötungsverbot gehört zu den sozialen Verboten und bezieht sich auf das Zusammenleben. Eigentlich heißt es: Du sollst nicht morden. Das Mordverbot gibt es wohl in allen Völkern. Auf Mord stehen in der Regel hohe Strafen. Mord wird als Option der Konfliktlösung oder des Aggressionsabbaus in zivilisierten Gesellschaften heutzutage kategorisch abgelehnt. Auf Kriege ist dieses Verbot nicht anwendbar und auf die Selbstverteidigung auch nicht. Hier gelten in der Ethik (sei sie säkular, sei sie christlich) andere Regeln. Das hat selbst der Umkehr-Prophet Johannes der Täufer so gesehen, der Soldaten zum Schutz der Zivilbevölkerung und zum Unterlassen von Plünderungen aufrief, nicht aber zum Niederlegen ihres Berufs (Lukas 3,14). Dies entspricht im Übrigen recht genau dem Kurs, den auch die israelische Armee heute fährt.
4. „Wir müssen für Israel und die Palästinenser beten.“
Als Personen, die nicht unmittelbar zu den Betroffenen gehören, haben wir eine besondere Chance, für diese schlimme Situation zu beten. Das sollten wir tun. Leitend kann das Vaterunser sein: „Dein Reich komme! Dein Wille geschehe!“ (Matthäus 6,10). Lasst uns beten um Gottes Eingreifen und gegen den Terror. Denn wo Gott wirkt und der Terror schwindet, wenden sich Dinge zum Guten. Wo unser Gebet spezifischer wird, sollten wir informiert, vom Wort Gottes her und vom Heiligen Geist geführt beten. Natürlich braucht Israel Gebet und natürlich auch die Palästinenser – aber je anders! Zum Gebet für Israel verweisen wir ferner auf Gottes Verheißungen in der Bibel und unseren Gebetskalender A-Gebetskalender-2024-01.pdf (israelaktuell.at)
5. „Stimmt es, dass die Hamas Israel ausradieren will? Lässt sich das belegen?“
Die Hamas macht keinen Hehl daraus, dass sie Israel zerstören will. In der Präambel ihrer Charta heißt es: „Israel existiert und wird weiter existieren, bis der Islam es ausgelöscht hat, so wie er schon andere Länder vorher ausgelöscht hat.“
6. „Wie kann man westlichen Leuten am besten das Märtyrertum des radikalen Islam erklären?“
Das ist eigentlich nicht so schwer. Den Märtyrern beziehungsweise Selbstmordattentätern wird versprochen, dass sie nach dem Tod direkt ins Paradies kommen, dort reiche Belohnung und hohe Ehre empfangen. Das ist nicht nur verlockend, sondern auch eine Perspektive, die sonst kein Muslim hat, denn es gibt im Islam keine Heilsgewissheit. Ferner bekommen die Märtyrer – meist junge Männer – die Aussicht, dass sie im Paradies 70 Jungfrauen (Huris) bekommen, nur für sich allein. Diese Versprechen bedienen die größten Sehnsüchte junger Männer, was kein Zufall ist. Dies alles liegt offen zutage. Das Problem liegt jedoch woanders: Im Westen glauben wir nicht, dass es solche Versprechen gibt, dass sie „funktionieren“ und Muslime dafür tatsächlich ihr Leben geben. Dazu sind wir zu rational-diesseitig orientiert. Menschen in der muslimischen Welt denken aber anders. Erst wenn man sich in die islamische Welt hineinversetzt, versteht man sie – und begreift ihre Auswirkungen.
7. „Man darf nicht alle Palästinenser als böse betrachten; es sind doch nur die fanatischen Führer.“
Jein. Es ist zunächst eine wichtige Erkenntnis, dass man differenziert denken muss. Nicht alle Palästinenser denken gleich, wie auch nicht alle Juden, alle Christen, alle Deutschen und alle Berliner, um einige Beispiele zu nennen. So manche palästinensische Mama interessiert sich lediglich dafür, wie sie ihre fünf Kinder satt bekommt, das ist keine Frage. Richtig ist auch, dass ein Grundproblem im Gazastreifen in der Vorherrschaft der Hamas besteht. Die Hamas ist fanatisch, sie übt die Terroranschläge aus und fanatisiert die Bevölkerung. Israelhasser erziehen bereits die Kinder zum Israelhass, so dass diese als Hassende aufwachsen, ohne dies selbst entschieden zu haben: ein Teufelskreis.
Eine Trennung – die bösen Führer der Hamas versus das friedliebende Volk – lässt sich leider nicht durchführen. Ein großer Teil der Bewohner Gazas unterstützt die Hamas oder sympathisiert mit ihr. Nicht umsonst wurde die Hamas 2006 demokratisch gewählt und hätte heute laut Umfragen noch immer eine Mehrheit. Es wird also nicht genügen, die Hamas zu zerstören. Es braucht auch Konzepte, der Bevölkerung Alternativen zu Hass und Gewalt aufzuzeigen. Dies ist eine Langzeit-Aufgabe.
8. „Israel darf nicht einfach zurückschlagen, sondern muss angemessen reagieren.“
Dieser Gedanke ist einerseits berechtigt, birgt aber ein Problem: Für „Angemessenheit“ gibt es keine objektiven Kriterien. Schon gar nicht in dieser extremen Lage. Was in dieser Situation angemessen ist, kann man von extern nicht beurteilen. Diese Entscheidung darf, kann, muss und soll Israel allein treffen.
Dies ist eine Form der Würde, die man Israel zugestehen sollte. Israel hat dabei ein Recht, internationale Solidarität zu erfahren. Nur wer sich jetzt vorbehaltlos hinter Israel stellt, stellt sich unzweideutig gegen den Terror – und das ist das Gebot der Stunde.
9. „Israel hat ja eine Mitschuld. Was die Juden den Palästinensern seit Jahren antun, da brauchen sie sich nicht wundern, wenn die nun aufbegehren und sich wehren.“
Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist Jahrzehnte alt und es lässt sich darüber streiten, wer daran welchen Anteil hat. Angesichts der jüngsten Massaker ist dieses Argument aber fehlplatziert, denn die Grausamkeiten der Hamas sind durch nichts zu rechtfertigen. Keine noch so konfliktreiche Vorgeschichte kann dafür herhalten, dass Babys die Köpfe abgerissen und Schwangere aufgeschlitzt werden. Die Gräueltaten gehen im Übrigen weit über einen normalen kriegerischen Konflikt, über einen Kampf von Soldaten gegen Soldaten hinaus. Das systematische und absichtlich grausame Ermorden von Juden, wie die Hamas es praktiziert hat, zielt auf die Ausrottung des jüdischen Volkes, soll Angst und Schrecken verbreiten, einen Flächenbrand auslösen und letztlich den Staat Israel zu Fall bringen.
Es geht hier im Kern also gar nicht um den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Dieser wird vielmehr instrumentalisiert und für „höhere“ Zwecke benutzt. Hinter diesen Gräueltaten steht eine satanisch inspirierte Israelfeindschaft, die einen religiösen Hintergrund hat und perspektivisch auf einen Genozid, eine erneute „Endlösung“ abzielt („Zweiter Holocaust“). Dies wird nicht zuletzt am Namen deutlich, den die Hamas ihrem Angriff gegeben hat: Al-Aksa-Flut. Der Name besagt: Das Ziel ist Jerusalem und damit die völlige Vernichtung Israels. Insofern hat Israel recht, wenn es sich nicht nur im Kampf gegen die Hamas sieht, sondern im Kampf gegen das Böse.
10. „Israel hat das Land den Palästinensern weggenommen.“
Das stimmt nicht einmal für das Westjordanland, noch weniger für den Gazastreifen. Den Gazastreifen hat Israel 2005 geräumt, er ist komplett in palästinensischer Hand. Um Land geht es hier gar nicht. Das Westjordanland hingegen hat eine lange Vorgeschichte, die bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs zurückreicht. In jener Zeit hat die internationale Gemeinschaft beschlossen, in Palästina eine Heimstätte für das jüdische Volk zu errichten. Das vorgesehene Gebiet umfasste ungefähr das heutige Israel (das Westjordanland eingeschlossen) sowie Jordanien – meist öde und gering besiedelte Landflächen. Die Mandatsmacht Großbritannien teilte das Gebiet sogleich auf, um einen Araberstaat zu gründen: Transjordanien. Die Zwei-Staaten-Lösung wurde also damals schon umgesetzt, doch die Probleme blieben.
1947 legte die UNO einen weiteren Teilungsplan vor, der für Israel ungefähr das jetzige Gebiet (ohne Westjordanland) vorsah und das Westjordanland für einen (weiteren) Araberstaat. Israel biss in den sauren Apfel, akzeptierte die Verkleinerung seines Gebiets und gründete seinen Staat; die Araber jedoch lehnten ab und griffen Israel an. Damit war dieser Teilungsplan vom Tisch, so dass das Westjordanland im Grunde noch immer Israel zustand. Während des Unabhängigkeitskriegs 1948 wurde das Westjordanland aber von Jordanien rechtswidrig besetzt.
1964 wurde die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO gegründet. Sie hatte das Ziel, Israel zu vernichten, um einen Staat Palästina aufzubauen. Dies war ein wesentlicher Schritt, dass die Araber in Israel/Palästina zu einer Art „Volk“ wurden und sich eine eigene Identität gaben: die Palästinenser. Vorher gab es dieses „Volk“ gar nicht, geschweige denn einen Palästinenserstaat. Während des Sechstagekriegs 1967 besetzte Israel das Westjordanland, verleibte es sich aber nicht ein, sondern übernahm nur die Kontrolle. Im Zuge des Oslo-Friedensprozesses in den 1990er Jahren wurden im Westjordanland palästinensische Autonomiegebiete eingerichtet. Das sind sozusagen „Inseln“, die unter palästinensischer Selbstverwaltung stehen, und sollte eine Zwischenstufe hin zu einer Zwei-Staaten-Lösung sein. Israel hat mehrfach gute Angebote für eine endgültige Lösung vorgelegt, stieß aber auf palästinensischer Seite auf taube Ohren. Inzwischen stagniert der Prozess.
Kurz gesagt: Der Staat Israel besteht seit 1948, die Araber/Palästinenser haben alle Möglichkeiten, einen eigenen Staat zu gründen, systematisch ausgeschlagen, das Westjordanland ist umstrittenes Gebiet, eine Lösung ist aktuell nicht in Sicht. Eines ist jedoch deutlich: Von „Landraub“ kann keine Rede sein.
11. „Israel kann doch nicht auf Schulen und öffentliche Einrichtungen schießen.“
Das ist ein großes Problem. Das perfide Vorgehen der Hamas besteht darin, dass sie militärische Stützpunkte wie zum Beispiel Waffenlager in öffentliche Gebäude legt: oben das Schulgebäude, im Keller das Waffenlager. Israel warnt deshalb die entsprechenden Einrichtungen vor und teilt mit, wann ein Angriff erfolgt, so dass die Gebäude geräumt werden können. Manchmal hält die Hamas die Menschen aber in den Gebäuden fest. Als menschliche „Schutzschilde“ beziehungsweise um später zivile Opfer „präsentieren“ zu können. Solche Situationen sind für Israel ausgesprochen heikel und werden anhand entsprechender Vorgaben innerhalb der Kommandoebene der israelischen Armee gründlich erörtert, um zivile Opfer möglichst zu vermeiden.
12. „Warum bombardiert Israel den Gazastreifen nicht einfach komplett und legt ihn in Schutt und Asche wie Dresden im Zweiten Weltkrieg, damit endlich alles vorbei ist?“
Weil dies Tausende zivile Opfer fordern und eine humanitäre Katastrophe auslösen würde, die unabsehbar ist. Dazu kommt, dass die Menschen nicht fliehen könnten. Israel kann sie nicht ins Land lassen, weil die Terroristen unter der Bevölkerung Gazas leben und auf diese Weise nach Israel kommen würden; Ägypten weigert sich – aus demselben Grund.
13. „Wenn Israel sagt, sie zerstören jetzt die Hamas, warum haben sie es denn nicht schon längst getan?“
Weil Israel dazu in den Gazastreifen eindringen muss. Das hätte bisher für einen ungeahnten Aufruhr gesorgt, nicht nur in der arabischen Welt, sondern weltweit. Die internationale Akzeptanz für solch einen Schritt ist jetzt (nach den Massakern) ungleich höher.
14. „Das israelische Militär ermordet Kinder und Zivilisten. Israel begeht schon seit 75 Jahren Genozid.“
Diese Anschuldigung entbehrt jeglicher Grundlage und entspringt der antiisraelischen Stimmungsmache. Hinter einem Genozid steht die Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Die IDF (Israel Defense Forces, Israels Armee) unterliegt hohen ethischen Normen und starker Kontrolle. Israel achtet entschieden darauf, zivile Opfer zu vermeiden, und klärt fragwürdige Vorgänge aktiv auf. Es gilt, wach und nüchtern zu bleiben, um dieser Propaganda nicht auf den Leim zu gehen.
15. „Der Mossad war rechtzeitig alarmiert, blieb aber passiv, um die Situation eskalieren zu lassen, damit Israel dann mit aller Härte zurückschlagen kann.“
Mit solchen Aussagen sollte man vorsichtig sein. Was dem israelischen Geheimdienst vorab bekannt war und was nicht, wissen wir aktuell nicht. Ebenso wenig ist deutlich, wie innerhalb des Mossad auf eventuell vorhandene Informationen reagiert wurde und wie es zu möglichen Versäumnissen kam. Inakzeptabel ist es, von solchen Versäumnissen auf die Motivation der Entscheidungsträger zu schließen. Tatsache ist, dass wir nicht in deren Herzen schauen können und über ihre Motivation nichts wissen. Aussagen dieser Art sind reine Unterstellungen. Davon sollten wir Abstand nehmen.
16. „Was bedeutet es konkret, wenn Olaf Scholz sagt: Wir stehen zu Israel?“
Das ist eine spannende Frage, die man abwarten muss. Die Gefahr besteht, dass auf die hehren Worte nur wenige praktische Taten folgen. Möglicherweise macht die Regierung sogar einen Rückzieher, sobald der erste Schock vorbei ist, Bilder ziviler Opfer aus dem Gazastreifen kommen und Druck von anderen Staaten entsteht. Die offizielle Linie Deutschlands ist seit Bundeskanzlerin Merkel, dass Israels Existenz beziehungsweise Sicherheit „Staatsräson“ ist. In der Praxis verhielt sich Deutschland aber meist recht wankelmütig. Wir werden es sehen. Die Enthaltung Deutschlands bei der Abstimmung über eine UN-Resolution zur Lage in Gaza vom 27. Oktober war eine verpasste Chance.
17. „Was kann ich antworten, wenn jemand sagt, der Gazastreifen sei „unter der israelischen Blockade zu einem Freiluftgefängnis geworden“?
Der Gazastreifen ist seit 2005 vollständig in palästinensischer Hand und funktioniert wie ein kleiner Staat. Wenn man nach Israel einreisen will, braucht man ein Visum. Viele Palästinenser haben eines, da sie in Israel arbeiten. Das Bittere ist: Einige von ihnen haben die Spionagearbeit geleistet, die die Hamas brauchte, um die jüngsten Massaker vorzubereiten – ein enormer Vertrauensbruch. Seit Jahren vergeht keine Woche, in der nicht Raketen von Gaza aus nach Israel abgefeuert werden. Dass mit der Hamas in Gaza eine Regierung sitzt, die Israel vernichten will, kann jeder in deren Charta nachlesen. Deshalb hält Israel die Grenze relativ dicht und achtet penibel darauf, wer ins Land kommt. Das tun im Übrigen viele Staaten. Freie Grenzübertritte, wie wir es in Europa kennen, sind weltweit eine Seltenheit; Kontrollen und Visumspflicht sind die Normalität. Doch der Gazastreifen grenzt nicht nur an Israel, sondern auch an Ägypten und das hat seine Grenze ebenfalls abgeriegelt.
18. „Ich frage mich, warum immer wieder der Vorwurf kommt, Israel unterdrücke die Palästinenser. Wie ist in diesem Fall Unterdrückung definiert? Ist das nur Übertreibung? Oder gibt es tatsächlich Formen der Unterdrückung?“
Der Vorwurf der Unterdrückung ist zunächst fester Bestandteil der Propaganda. Er bewirkt eine weltweite Solidarisierung mit den „Unterdrückten“, die spontan und intuitiv geschieht und Israel die Täterrolle zuschreibt. Diese Propaganda ist hoch wirkungsvoll. Im Gazastreifen ist Israel gar nicht präsent, kann also auch nicht unterdrücken. Im Westjordanland übt Israel die Kontrolle aus, um Attentate zu vermeiden. Diese Kontrolle kann mehr oder weniger strikt ausfallen. Dass es hier zu übergriffigen Aktionen kommen kann, vor allem an den Checkpoints, liegt in der Natur der Sache und kann bei Palästinensern zu dem Gefühl führen, unterdrückt zu werden.
Übergriffe erfolgen jedoch – und das ist der entscheidende Punkt – nicht systematisch und werden strafrechtlich verfolgt. Wie eng solche Kontrollen sein sollten, kann man diskutieren und wird in der israelischen Gesellschaft auch diskutiert. Dabei muss Israel Sicherheit gegen Kontrolle abwägen. Je mehr Kontrolle, desto höher die Sicherheit; je lockerer man vorgeht, desto größer die Gefahr von Attentaten.
19. „Wie stehen die arabischen und palästinensischen Christen (theologisch) zu Israel beziehungsweise dem Angriff?“
In der palästinensischen Christenheit gibt es verschiedene Lager. Die einen kennen die biblischen Berufungen und Verheißungen Israels (allen voran die Landverheißung) und bejahen sie. Sie stehen Israel vergleichsweise nahe und sind um Ausgleich bemüht. Die anderen sind zwar Christen, leben aber noch stark im palästinensischen Narrativ – Israelhass eingeschlossen. Aufgrund ihrer christlichen Überzeugung feiern sie zwar nicht die Gewalttaten der Hamas wie viele Muslime es tun, aber tiefe Gefühle der Feindschaft, der Frustration und der Ablehnung liegen dennoch vor. Aus diesem Grund gibt es Dienste, die zwischen palästinensischen Christen und messianischen Juden Versöhnung initiieren. So entstehen kleine „Keimzellen“, die der Verständigung und dem Frieden dienen.
20. „Können die Ereignisse mit Hesekiel 38 in Verbindung stehen?“
Eine endzeitliche Einordnung ist momentan noch nicht möglich. Auch ist noch nicht klar, ob wir es überhaupt mit einem endzeitlichen Geschehen zu tun haben. Referenztexte wie Psalm 83, der Gog-Magog-Krieg (Hesekiel 38) oder gar der Völkeransturm auf Israel nach Sacharja 12 können aktuell noch nicht herangezogen werden, um die Geschehnisse zu deuten, da noch nicht genügend Parallelen vorliegen. Allerdings kann sich die Situation in die genannten Endzeit-Szenarien hinein entwickeln. Dies ist durchaus möglich und sollte wach verfolgt werden.
21. „Israel muss das alles durchmachen, es steht ja in der Bibel für die Endzeit geschrieben. Das ist Gottes Wille. Das muss man einfach geschehen lassen.“
Ob die jetzige Situation etwas mit biblischen Endzeitprophetien zu tun hat, wissen wir noch nicht. Wenn ja, dann heißt dies nicht, dass Angriffe auf Israel Gottes Willen entsprechen. Es ist auch möglich, dass Propheten Ereignisse vorhersagen, die zwar eintreten, aber nicht Gottes Willen entsprechen. Dazu gehören zweifellos alle Angriffe auf Israel, die Gott letztendlich abschmettern wird (Hesekiel 38; Sacharja 12; Offenbarung 20). Unser Grundauftrag, Israel zu segnen, bleibt – gerade in schwierigen Zeiten (1. Mose 12,3).
In Matthäus 25 greift Jesus diesen Grundauftrag auf. Er schildert verschiedene Notsituationen, die insbesondere auch in den Turbulenzen der Endzeit auftreten, und sagt: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ (Matthäus 25,40). Nimmt man diese Aussage wörtlich, dann kann man sie auf die Juden (als Jesus leibliche Brüder) beziehen. Wir haben dann einen Auftrag unseres Herrn, den Juden in ihrer Not nach Kräften beizustehen, um auf diese Weise Jesus zu dienen. Aber ehrlich gesagt: Wir brauchen so einen Auftrag nicht. Es genügt, ein gesundes Herz zu haben, das mitfühlen kann, Nächstenliebe empfindet und Wertschätzung für die Juden hat, um in dieser krassen Situation zu helfen und für das jüdische Volk da zu sein. Dazu muss man nicht einmal Christ sein. Es genügt, ein normaler Mensch mit einem gesunden Herzen zu sein
22. „Was würde Jesus tun? (WWJD)“
Das ist eine gute Frage, die respekteinflößend ist. Denn es besteht die Gefahr, die eigenen Ansichten in Jesus hineinzuprojizieren, der in Wahrheit vielleicht ganz anders denkt.
Tatsache ist, dass Jesus ein Verkündiger des Friedens und der Liebe war. Tatsache ist aber auch, dass sich Jesus zu Situationen, wie wir sie aktuell in Israel/Gaza vor Augen haben, nicht geäußert hat, wie er überhaupt zu tagespolitischen Fragen keine Stellung bezogen hat. Ob Jesus Pazifist war, ist in der Theologie umstritten. Dass Jesus selbst keine Gewalt ausgeübt hat, ist eindeutig (eventuell mit Ausnahme der Tempelreinigung; Johannes 2,15), doch führten seine Jünger Schwerter mit sich und wussten diese auch zu benutzen (Lukas 22,49; Johannes 18,10). Von Jesus wissen wir, dass er im Hinblick auf politische Gegebenheiten Realist war (Matthäus 20,25; 24,6) und mit den Mächtigen umgehen konnte (Lukas 13,31-33). Jesus kannte die Gesetzmäßigkeiten der Welt, er war kein naiver Träumer.
Im Umgang mit Menschen wird deutlich, dass Jesus keineswegs konfliktscheu war, ja regelrecht radikal sein konnte (Matthäus 23). Jesus war kein Weichling, sondern konnte auch eine (von Gott vollzogene) Todesstrafe akzeptieren, ja drohend ankündigen (Lukas 13,1-5). Darüber hinaus hat es Jesus gewagt, eine Bewegung ins Leben zu rufen, von der er wusste, dass sie viele seiner Anhänger das Leben kosten würde (Matthäus 24,9-12). Wenn Jesus wiederkommt, dann wird er bereit sein, das Endgericht zu halten und Sünder ins ewige Feuer zu schicken (Matthäus 25,41). Zuletzt wird er die „Hure Babylon“ – das endzeitlich-antichristliche Weltsystem – zerstören, um das Reich Gottes universal aufrichten zu können.
All diese Hinweise helfen jedoch nur bedingt weiter. Das Problem ist, dass Jesus der Messias war und als solcher ein bestimmtes Programm hatte, dem er verpflichtet war (Lukas 4,16-20). In Jesu Wirken brach die Gottesherrschaft in unsere kranke Welt ein. Menschen wurden geheilt und befreit, sie wurden in die Nachfolge gerufen und als Persönlichkeiten wiederhergestellt. Jesu Ethik galt speziell seinen Jüngern, die er als Repräsentanten der Gottesherrschaft ausbildete (Matthäus 5,1-2); eine Ethik für „die Welt“ sucht man bei Jesus vergebens.
Was würde Jesus heute tun, wenn er in Israel wäre? Vermutlich dasselbe wie damals, denn die Gottesherrschaft zu bringen, ist seine Aufgabe. Wie würde er sich zur aktuellen Situation äußern? Das ist schwer zu sagen, denn eine Gruppierung, die es dezidiert darauf abgesehen hat, Israel auszulöschen, gab es damals nicht. Es ist durchaus möglich, dass Jesus die Entscheidung den Regierenden überlassen würde, denn dazu sind sie im Amt. Würde Jesus seine Jünger in die IDF lassen oder sie gar dazu ermutigen? Sicher nicht, um das Reich Gottes durchzusetzen, aber wohl doch, um ihr Land und ihre Mitbürger zu verteidigen. Und wenn ganz Israel Jesus nachfolgen würde und Jesus entscheiden müsste – was würde er Netanyahu sagen? Jesus würde sich gewiss nicht von Rachegefühlen leiten lassen, sondern ins Gebet gehen. Er würde alles tun, um das Schlimmste zu vermeiden, doch wäre er auch bereit, das zu tun, was nötig ist. All das sind jedoch nur Vermutungen.
Warum bleiben diese Antworten so seltsam vage? Weil wir bei Jesus nur eine Ethik für seine Jünger finden, eine Ethik des Reiches Gottes, keine allgemeine und allesumfassende. Eine politische Ethik für die sündhafte Welt und für säkulare Politiker hat Jesus nie entworfen, ganz zu schweigen von Konzepten für solche Extremsituationen. Wichtig ist: Aufgrund seiner spezifisch messianischen Mission war Jesus enger und fokussierter unterwegs als es sein Vater, der Gott Israels, ist. Jesus war eben der, der Heil, Vergebung und Leben bringt. Das war seine Aufgabe und darauf konzentrierte er sich. Gott aber umfasst alle Dinge.
Von daher werden wir für die aktuelle Situation eher Orientierung im Alten Testament als im Neuen finden. Doch ehrlich gesagt: Auch damit sind wir am Ende des Tages überfordert. Was in dieser Situation gut oder schlecht, richtig oder falsch ist, ist einfach schwer zu beurteilen.Müssen wir als Christen also das Handtuch werfen? Nein. Wir können beten, dass Gott das Ringen der israelischen Regierung um gute Entscheidungen segnet. Wir können beten, dass er die Verantwortungsträger zu den bestmöglichen Plänen führt und dann das bestmögliche Gelingen schenkt. Das ist unser Beitrag. Ein eigenständiges Beurteilen von unserer Seite her ist gar nicht notwendig.
23. „Was sollten Christen nun tun?“
Christen sollten in diesen Tagen im Gebet hinter Israel stehen, Israel solidarisch zur Seite stehen, Juden weltweit nach besten Mitteln unterstützen, Lügen und Falschdarstellungen entgegentreten, Anti-Israelismus im eigenen Land bekämpfen und öffentlich die Stimme für Israel erheben. Das Gedenken an den Holocaust erfordert es, das „Nie wieder“ mit Leben zu füllen. Nie wieder ist jetzt. Und es ist unsere Verantwortung. Ein wesentlicher Punkt heute besteht darin, sich gründlich zu informieren und die Art der Darstellung in den Medien kritisch zu beleuchten.
Jesus lehrt nicht jedermann: Er ruft die Menschen zuerst zu sich, dann unterrichtet er sie (Matthäus 28,18-20); das war damals so und das ist heute nicht anders. Wer Jesu Ruf nicht folgt, bleibt auf sich allein gestellt und muss seinen eigenen Weg gehen. Jesus war zugleich zu ganz Israel gesandt (Matthäus 15,24). Er wollte Israel zu seinen Jüngern und zu Teilhabern des Reiches Gottes machen, er wollte sein Volk auf „die Ewigkeit“ vorbereiten. Dieses Programm verfolgte Jesus, wohlwissend, dass er sich in einer Welt bewegte, die so ganz anders war – und die er nicht groß kommentierte (Johannes 18,36). Insgesamt gewinnt man in den Evangelien den Eindruck, dass Jesus sich voll auf seine Mission konzentrierte, allem anderen aber weitgehend seinen Lauf ließ.
Foto: Kibbuz Be’eri nach dem Massaker am 7.10.2023 – Foto Flash90